Otto Schily tadelt Energiewende - und erntet Kritik

Clausthal-Zellerfeld. Otto Schily, als Kritiker der aktuellen Energiepolitik bekannt, nahm kein Blatt vor den Mund: „Alle Ziele der Energiewende werden verfehlt“, behauptete der ehemalige Bundesinnenminister in der Aula der TU Clausthal vor 150 Gästen. Schily sprach im Rahmen der Vortragsreihe „Wissenschaft - Technik - Ethik“ zum Thema „Wie weiter mit der Energiepolitik? - Denkverbote oder offene Debatte“. Eingeladen dazu hatte die Evangelische Studentengemeinde (ESG).

Der 85-Jährige, einst Gründungsmitglied der Partei „Die Grünen“ und seit 1989 in der SPD, kritisierte die Energiewende in seiner knapp einstündigen Rede unter finanziellen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten. So habe Deutschland die höchsten Strompreise für private Haushalte in der Europäischen Union, dazu kämen zahlreiche Insolvenzen in der Solarbranche. Neben den finanziellen Nachteilen sei die Energiewende „alles andere als ökologisch“. Nach Schilys Worten benötigen Windräder, die er Windmonster nannte, zu viel Fläche, zerstören die Landschaft und verursachen Umweltprobleme. Gerade die Vogelwelt werde geschädigt und die Menschen beeinträchtigt. Auch unter sozialen Aspekten sei die Energiewende „eine krasse Fehlkonstruktion“, sie bewirke eine Umverteilung von unten nach oben. Weil hierzulande Millionen Menschen die Energierechnung nicht mehr bezahlen können, würde ihnen angedroht, dass der Strom abgestellt wird. Sein Fazit: Die Energiewende ist zu teuer, mit zu vielen Schwierigkeiten behaftet und muss vom Steuerzahler finanziert werden. Die deutsche Wirtschaft floriere nicht wegen, sondern trotz der Energiewende.

„Aber vielleicht lohnt sich der Aufwand ja, weil man sich der Risiken der Kernenergie entledigt“, fragte Schily rhetorisch das Plenum. Seine Antwort: Was nützt es auf die Atomkraft zu verzichten, wenn im Nachbarland Frankreich weiter auf Kernkraftwerke gesetzt wird und im Osten Europas sogar neue Meiler gebaut werden. Sein Vorschlag: „Warum wird nicht vorurteilsfrei diskutiert, moderne Nukleartechnik in die Energiewende einzubeziehen?“ Hier verwies der Jurist und einstige Anwalt verschiedener RAF-Mitglieder auf das Forschungsthema Dual-Fluid-Reaktor.

Auf den zugespitzten Vortrag folgte erwartungsgemäß eine lebendige, kontroverse Diskussion mit Gegenrede. Professoren und Studierende der Universität - in der Energieforschung beschäftigt sich die Wissenschaft in Clausthal insbesondere mit Speichertechnologien für regenerative Energien, aber auch mit Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe - hinterfragten kritisch die Aussagen und vorgelegten Zahlen. Hochschulpfarrer Dr. Heiner Wajemann, der Schily mit Unterstützung des Ingenieurs Volker Eyssen (Mitglied im Verein von Freunden der TU Clausthal) für die ESG-Vortragsreihe hatte gewinnen können, sagte: „Herr Schily, in meinen Augen war Ihr Vortrag eine Energiewende-Wende-Predigt.“

Bereits im August 2010 hatte der Berliner Politiker zusammen mit 41 namhaften Herren aus Wirtschaft und Politik einen Appell unterschrieben, der sich für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke einsetzte (die letzten Meiler gehen in Deutschland Ende 2022 vom Netz). Dies hatte TU-Präsident Professor Hanschke in seiner einordnenden Begrüßung angesprochen. Das Schlusswort gehörte nach 90 Minuten Otto Schily: „Wir sollten nie mit dem Denken aufhören und immer auch die eigene Position überdenken. Sollte mit meinem Vortrag die Diskussion über die Energiewende wiederbelebt worden sein, dann bin ich zufrieden.“

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Hob in der Aula der TU Clausthal mahnend den Zeigefinger in Hinblick auf die Energiewende: Otto Schily, der ehemalige Bundesinnenminister (1998 bis 2005). Foto: Ernst