Materialwissenschaftler, Maschinenbauer, Fertigungs- und Produktionstechniker der Technischen Universität (TU) Clausthal und der Universität Hannover arbeiten gemeinsam an solchen Fragen in den zwölf Einzelprojekten des neu bewilligten Sonderforschungsbereichs (SFB) 675 „Erzeugung hochfester metallischer Strukturen und Verbindungen durch gezieltes Einstellen lokaler Eigenschaften“. Der SFB der beiden Hochschulen wird mit etwa 5,7 Millionen Euro durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und ist der einzige, den die DFG in dieser Antragsrunde für niedersächsische Hochschulen neu bewilligt hatte. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen steuert rund eine Million Euro für erforderliche Investitionen bei, die Universitäten beteiligen sich mit weiteren 750 000 Euro. Die Förderung beginnt am 1. Juli und kann über zwölf Jahre bis zum Jahr 2018 erfolgen. Die jetzt genehmigte erste Phase der Forschungen läuft bis zum Juni 2010.
Rissfreie Flugzeughüllen ohne Nieten - sicherer und billiger
Das langfristige Ziel der Forschungen ist, Bauteile, wie zum Beispiel Profile, Gelenkwellen oder auch die Außenhaut von Flugzeugen, so herstellen zu können, dass ihre lokalen Eigenschaften an die jeweilige Belastung angepasst sind. „Die Hüllen von Flugzeugen etwa können nach einiger Zeit in kritischen Bereichen Risse entwickeln“, erläutert SFB-Sprecher Dr. Heinz Palkowski, Professor für Werkstoffumformung am Institut für Metallurgie der TU Clausthal. Dieser Gefahr würde bisher mit dem Verfahren begegnet, durch Vernieten für einen natürlichen Stopp der Risse zu sorgen. Diese Technik ist jedoch sehr zeitaufwendig und teuer: „Gelingt es uns, die lokale Festigkeit der Flugzeughülle in kritischen Bereichen gezielt zu beeinflussen, dann könnten solche Risse in unkritische Bereiche ?umgeleitet' oder sogar ganz vermieden werden, ohne Nieten zu verwenden. Die Flugzeughülle wäre also sicherer.“ Außerdem könne eine solche Materialbeeinflussung Kosten sparen: Die Herstellung von nicht vernieteten Flugzeughüllen ginge schneller und das Flugzeug wäre leichter, womit sich die Kosten des Flugbetriebs reduzierten.
Die Clausthaler und Hannoveraner Wissenschaftler untersuchen den gesamten Herstellungs- und Entwicklungsprozess hochfester Strukturen mit lokal begrenzten, so genannten gradierten Eigenschaften - vom Ausgangsmaterial bis zum fertigen Bauteil. „Wir betreten dabei in vielen Bereichen Neuland: Weder ist durchgängig bekannt, welche genauen Auswirkungen das Umformen oder das Zusammenfügen von Werkstoffen im Laufe der Bauteilproduktion auf die Werkstoffe selbst haben. Noch weiß man ausreichend, wie sich diese Einflüsse ausnutzen und Produktionsprozesse planen lassen, um Bauteile mit gradierten Eigenschaften zu erhalten“, erklärt Palkowski.
Zwölf Projekte in drei Gruppen
Diesen offenen Fragen widmen sich die Forscher unterschiedlicher Disziplinen in drei Projektgruppen: Die Gruppe „Werkstoffe und Konzepte“ erkundet grundlegende Eigenschaften metallischer Werkstoffe und versucht, die Eigenschaften vorhandener Halbzeuge so zu konfigurieren, dass sie für ihre spätere Anwendung und Belastung optimiert sind. Halbzeuge sind vorgefertigte Rohmaterialformen wie beispielsweise Bleche, Stangen und Rohre. Sie werden in der Regel so ausgelegt, dass sie in Art und Abmessung dem herzustellenden Produkt bestmöglich entsprechen.
Die Aufgabe der zweiten Projektgruppe „Verfahren und Fertigung“ ist, Fertigungstechnologien zu finden oder zu entwickeln, mit denen aus den so modifizierten Halbzeugen größere Strukturen und Bauteile gefertigt werden können, ohne dass die zuvor verliehenen Materialeigenschaften durch die weitere Fertigung negativ beeinflusst werden. Außerdem untersucht diese Gruppe, wie das Zusammenfügen und das Umformen von Halbzeugen für die gezielte Veränderung von Materialeigenschaften genutzt werden können.
Die dritte Projektgruppe „Strukturen und Anwendungen“ befasst sich mit den Konstruktionsmethoden, den Konzepten zur Steigerung der Betriebsfestigkeit und mit Verfahren der Qualitätssicherung in der Produktion.
Bewilligung bestätigt Profilbildung
Der neue SFB ist ein Meilenstein in der Profilentwicklung der Oberharzer Hochschule: „Nach der Gründung des Clausthaler Zentrums für Materialtechnik ist die Bewilligung des Sonderforschungsbereichs ein weiterer wichtiger Schritt, das Profil der TU Clausthal zu schärfen“, sagt TU-Vizepräsident für Forschung und Hochschulentwicklung, Professor Dr.-Ing. Hans-Peter Beck. „Die Anerkennung durch die DFG, die sich mit der Bewilligung ausdrückt, bestätigt den Weg, den das Präsidium zur Profilbildung der TU Clausthal eingeschlagen hat.“ Professor Dr. Thomas Hanschke, TU-Vizepräsident für Studium und Lehre, ergänzt: „Der SFB ist eine sehr willkommene Möglichkeit, Absolventen der Materialwissenschaft, des Maschinenbaus und der Verfahrenstechnik weiter an der TU auszubilden.“ Beck und Hanschke sind sich einig, dass der SFB eine erfolgreiche Synthese darstellt zwischen der TU Clausthal und der Universität Hannover und zwischen den beteiligten Fächern.
SFB - Dokumentation wissenschaftlicher Exzellenz
Sonderforschungsbereiche erlauben den Hochschulen, langfristige Forschungsvorhaben durchzuführen. Im Falle einer erfolgreichen Zwischenbegutachtung nach fünf Jahren bestehen SFBs bis zu zwölf Jahre. Finanziert werden sie von der DFG, zusammen mit dem jeweiligen Bundesland, dem Bund und der beantragenden Universität. Die Voraussetzung für die Bewilligung ist die wissenschaftliche Exzellenz der Antragssteller in den entsprechenden Disziplinen. Ein Schwerpunkt dieser exponierten Forschungsvorhaben liegt auf der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wobei die DFG besonderen Wert auf die Beschäftigung von Wissenschaftlerinnen legt, die in den ingenieurtechnischen Forschungsfeldern deutlich unterrepräsentiert sind.
Der neue SFB 675 „Erzeugung hochfester metallischer Strukturen und Verbindungen durch gezieltes Einstellen lokaler Eigenschaften“ kann mit den so genannten Transregios der DFG verglichen werden: Die erforderlichen Fachkapazitäten, die für eine erfolgreiche Durchführung des SFB erforderlich sind, haben sich erst durch den Zusammenschluss der Forscher der TU Clausthal und der Universität Hannover ergeben.
Konstituierende Sitzung am 12. Juni
Die beteiligten Wissenschaftler haben am 12. Juni in der konstituierenden Sitzung des SFB Professor Dr.-Ing. Heinz Palkowski vom Institut für Metallurgie (TU Clausthal) als SFB-Sprecher und Professor Dr.-Ing. Bernd-Arno Behrens vom Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen (Universität Hannover) zum stellvertretenden SFB-Sprecher gewählt.
An den Forschungsarbeiten sind folgende Institute beteiligt
TU Clausthal | Universität Hannover |
Institut für Maschinelle Anlagentechnik und Betriebsfestigkeit(IMAB) Institut für Metallurgie (IMET) Institut für Schweißtechnik und trennende Fertigungsverfahren (ISAF) Fritz-Süchting- Institut für Maschinenwesen (IMW) * | Institut für Werkstoffkunde (IW) Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen (IFUM) Institut für Fertigungstechnik und Werk-zeugmaschinen (IFW) Laser Zentrum Hannover e.V. (LZH) |
* Aufnahme nach Denomination des Nachfolgers für den ausscheidenden Leiter, Professor Dr. Peter Dietz, möglich
Die Leitung der einzelnen Teilprojekte liegt in den Händen von:
Prof. Dr.-Ing. Alfons Esderts, IMAB Prof. Dr.-Ing. Friedrich-Wilhelm Bach, IW Dr. rer.nat. Bernd Breidenstein, IFW Dr.-Ing. Sven Hübner, IFUM Dr.-Ing. Oliver Meier, LZH Prof. Dr.-Ing. Heinz Palkowski, IMET Dr.-Ing. Antonia Schram, ISAF | Prof.Dr.-Ing. Bernd-Arno Behrens, IFUM Prof. Dr.-Ing. Bernd Denkena, IFW Dr.-Ing. Rainer Masendorf, IMAB Dr.-Ing. Andreas Ostendorf, LZH Dr.-Ing. Wilfried Reimche, IW Prof. Dr.-Ing. Volker Wesling, ISAF Dr. Günter Schäfer, IMW * |
* Aufnahme nach Denomination des Nachfolgers für den ausscheidenden Leiter, Professor Dr. Peter Dietz, möglich
Kontakt
Technische Universität Clausthal
Prof. Dr. Heinz Palkowski
Institut für Metallurgie
Werkstoffumformung
Robert-Koch-Straße 42
38678 Clausthal-Zellerfeld
Tel.: 05323 - 72 2016
Email: heinz.palkowski@tu-clausthal.de