Katastrophenschutz aus dem Weltall: Clausthaler Forschungsprojekt in Russland

CLAUSTHAL/BEREZNIKI. In der russischen Bergbaustadt Berezniki an der Westseite des Urals bricht auf Fußballplatzgröße die Erde weg, aber kein Mensch kommt zu Schaden - weil Forscher in der Clausthaler Erzstraße 18 aufgepasst und rechtzeitig alarmiert haben. Noch mag dieses Szenario zugespitzt erscheinen, möglich ist es. Seit April dieses Jahres arbeitet eine Gruppe am Institut für Geotechnik und Markscheidewesen unter Professor Wolfgang Busch an einem Forschungsprojekt, das aus Russland finanziert wird. Anhand ausgewerteter Satellitenaufnahmen können Bodensenkungen von wenigen Millimetern in der 3000 Kilometer entfernten Bergbauregion ermittelt werden. Das ist in etwa so, als ob Sherlock Holmes von London aus mit der Lupe jedes Detail im nordafrikanischen Wüstensand aufspüren könnte. Das Verfahren nennt sich Radarinterferometrie.

In Berezniki hat das Bergbauunternehmen Uralkali AG seinen Sitz. „Es ist einer der größten Kaliförderer weltweit“, sagt Thomas Hahmann. Der Diplom-Ingenieur der TU Clausthal hat die bodenschatzreiche Gegend in diesem Sommer mit Professor Busch und Diplom-Ingenieurin Diana Walter besucht. Neben den Bildern aus dem All machte sich die Gruppe ein Bild von den Problemen vor Ort.

Tagesbruch von den Ausmaßen eines Flugzeugträgers ereignete sich bereits 1986

Im Gebiet der armen Industriestadt Berezniki gab es vier aktive Kaligruben, eine davon unterhöhlt das Stadtgebiet. Ausgerechnet im dortigen Abbaugebiet kommt es seit einem Bergwerksunglück im vergangenen Oktober zu Flutungen. Es besteht Einsturzgefahr. Die Grube musste geschlossen werden. Künftig ist von einem weltweiten Preisanstieg für Kalisalz, das als Düngemittel eingesetzt wird, auszugehen. 1986 hatte es in einer anderen Kaligrube bei Berezniki schon einmal ein Unglück gegeben. Damals sackte die Erde auf einer Fläche von der Größe eines Flugzeugträgers 60 Meter tief ab. „Ähnliche Tageseinbrüche sind im Stadtgebiet zu befürchten, einen hat es Ende Juli am unbewohnten Rand von Berezniki bereits gegeben“, warnt Kartograph Hahmann. Deshalb ist von den örtlichen Stellen beschlossen worden, die Einwohner eines Stadtteils in den nächsten Monaten zu evakuieren. Um menschliches Leid sowie weitere Schäden an der Bebauung und der Verkehrsinfrastruktur zu verhindern, sollen Wissenschaftler Bodenabsenkungen und Einbrüche der Erdoberfläche vorhersagen und die Gefahr so planbarer machen.

Dass das Bergbauinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften der benachbarten Millionenstadt Perm dabei eingebunden wird, ist nahe liegend. Aber wie kommt der russische Großkonzern Uralkali auf Forscher aus dem entfernten Clausthal? Zwischen der Region Perm und Niedersachsen war zu Zeiten der Regierungschefs Jelzin und Kohl eine Partnerschaft vereinbart worden, in deren Rahmen die TU Clausthal eine Kooperation mit dem Bergbauinstitut und zwei Universitäten in Perm abgeschlossen hatte. Als es nun darum ging, externe, unabhängige Experten in das Projekt einzubinden, wurde der alte Kontakt erneuert. Die TU-Wissenschaftler haben Erfahrungen damit, bergbaubedingte Bodenbewegungen zu überwachen, da sie seit Jahren Satellitendaten vom Ruhrgebiet (Steinkohle) und dem Leipziger Braunkohlenrevier auswerten.

Russischer Professor schätzt Clausthaler Radarüberwachung

In Russland wird das von den Clausthaler Forschern weiterentwickelte Messverfahren differenziert gesehen. Zum einen schätzen die Osteuropäer technologischen Fortschritt. „Die Radarinterferometrie verfügt über wesentliche Vorteile gegenüber aufwendigen bodengestützten Methoden“, bestätigt Arkadi Krasnostein. Der Direktor des Bergbauinstituts und Mitglied der Akademie der Wissenschaften plädiert für eine Kombination aus satelliten- und bodengestützter sowie unterirdischer Überwachung der Erdbewegungen: „Dies ermöglicht es, kritische Situationen in Raum und Zeit rechtzeitig vorherzusagen und Schutzmaßnahmen einzuleiten.“ Zum anderen muss die Radarinterferometrie, die auch zur Vorhersage von Erdbeben und Vulkanausbrüchen eingesetzt wird, noch weiterentwickelt werden. „Wir haben unsere Ergebnisse mit denen der Markscheider der Uralkali AG verglichen - das passt“, sagt Thomas Hahmann. Problematisch werde es mit den Satellitenaufnahmen aus 600 Kilometern Höhe allerdings in vegetationsreichen Gebieten oder nach Schneefall. Am genauesten fällt das Monitoring, also das Überwachen vertikaler Bodenbewegungen, in bebauten Gebieten aus.

Die Daten für sein Verfahren bekommt das Team um Professor Busch vom europäischen Satelliten ENVISAT, der alle 35 Tage über Berezniki fliegt. In Zukunft könnte das Überflugintervall von einer Datenaufnahme zur nächsten verkleinert und damit die Prognosesicherheit über Erdbewegungen vergrößert werden. Denn ein im Juni erfolgreich gestarteter deutscher Radarsatellit mit dem Namen TerraSAR-X würde alle elf Tage über dem Ural neue Daten aufzeichnen.

Ob die TU Clausthal künftig auf den neuen Erdbeobachtungssatelliten setzt, hängt auch von den russischen Auftraggebern ab. Zunächst läuft das Projekt über ein Jahr. Die Verlängerung für zwei weitere Jahre ist geplant. Im September kommen die russischen Partner zum Gegenbesuch nach Clausthal - und schauen dann von dort mit der „überdimensionalen Lupe“ auf ihre heimischen Kaligruben.

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TU Clausthal


Pressereferent


Christian Ernst


Telefon: 05323 - 72 3905


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Stop: Aufgrund zu befürchtender Erdeinbrüche musste dieser Teil der Kaligrube in der russischen Bergbaustadt Berezniki abgesperrt werden.