Professor Hanschke, als Sie vor einem Jahr den NTH-Staffelstab erhielten, haben sich Ihre Präsidentenkollegen aus Braunschweig und Hannover diebisch gefreut. Auf einem Foto ist dies dokumentiert. Hat man Ihnen da etwas untergejubelt?
Hanschke: Nein, ich glaube, meine Kollegen haben geschmunzelt, weil ihnen klar ist, wie viel Arbeit und Mühe mit dem NTH-Sitz verbunden sind. Diese Aufgabe bedeutet eine außerordentliche Anstrengung, die ohne die NTH-Geschäftsstelle und die Unterstützung durch die Dezernate der TU Clausthal nicht machbar wäre. Aber sie bedeutet eben auch eine Horizonterweiterung, und sie stärkt das Selbstbewusstsein sowie den Bekanntheitsgrad der TU Clausthal in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. Ich gehe heute in Hannover oder Braunschweig genauso ein und aus wie in Clausthal-Zellerfeld.
Fürsprache oder Skepsis - was hat nach einem Jahr NTH-Sitz in Clausthal in Bezug auf die Uni-Allianz zugenommen?
Hanschke: Ich bin von der NTH noch mehr überzeugt. Sie wird weiter Fahrt aufnehmen und sich mit ihren Forschungsfeldern erfolgreich behaupten. Es gibt zu ihr keine Alternative.
Was heißt keine Alternative, wo doch manche Kritiker die NTH nur als eine Art Briefkastenfirma sehen?
Hanschke: Sie ist keine Briefkastenfirma, sondern eine Beutegemeinschaft im Kampf um Fördermittel. Um das zu erläutern, muss ich etwas ausholen. Im Januar 2004 hat die damalige Bundesbildungsministerin Bulmahn die Exzellenzinitiative ausgerufen. Die deutschen Hochschulen sollten in einen Wettstreit um Fördermittel treten. In Niedersachsen griff gerade das Hochschuloptimierungskonzept, das sich als Streichliste entpuppte. Allein im Haushaltsjahr 2004 sparte die Landesregierung bei den Hochschulen 40 Millionen Euro ein. Der Etat für die TU Clausthal wurde um 3,6 Millionen Euro gekürzt, die Budgets der Unis in Braunschweig und Hannover um 4,5 und 6,75 Millionen Euro. Ganz anders die Situation in Bayern, dort wurde sogar mehr Geld in die Wissenschaft gesteckt. Was den Wettstreit um die Fördergelder betrifft, kann man ihn mit zwei Marathonläufern vergleichen. Der eine bekommt eine optimale Versorgung mit Elektrolyten, der andere muss ohne Schuhe antreten.
Sollte man an einem solch ungleichen Vergleich überhaupt teilnehmen?
Hanschke: Wir müssen mitmachen, denn die Verknappung der Mittel hat längst zu einer Verlagerung der Hochschulfinanzierung weg von Landes- hin zu Förder- bzw. Drittmitteln geführt. Um überhaupt eine Chance zu haben und als kleine TU Clausthal nicht aussichtslos zurückzufallen, mussten wir uns in der NTH vernetzen und Schwerpunkte bilden. Ohne die NTH wäre etwa der neue Clausthaler Forschungsverbund mit der Volkswagen AG (IPSSE) gar nicht möglich gewesen. Dabei ist der Gedanke der Zusammenarbeit nicht neu. In Karlsruhe haben sich die Universität und die Helmholtz-Gesellschaft erfolgreich zum KIT, zum Karlsruher Institut für Technologie, zusammengeschlossen. Auch in der Wirtschaft hat die Bedeutung von Kooperationen angesichts globaler Märkte zugenommen.
Ist der finanzielle Druck der einzige Grund für strategische Partnerschaften?
Hanschke: Nein, es gibt auch andere Gründe. Drängende Probleme lassen sich heute nicht mehr isoliert und innerhalb der klassischen akademischen Leitdisziplinen lösen. Kompetenzen müssen in einem Forschungsverbund gebündelt werden. Wie es gehen kann, haben die Mediziner vorgemacht, indem sie einst Universitätskliniken gründeten. Dort findet innovative Forschung statt, die sofort umgesetzt wird und den Patienten zugute kommt. Ein Paradebeispiel ist die Berliner Charité. Im Bereich der Technischen Universitäten hat man diese Orientierung an lebensweltlichen Themen lange den Fraunhofer- und Helmholtz-Instituten überlassen. Seit der Jahrtausendwende ist aber eine Rückbesinnung im Gange. Die NTH-Mitgliedsunis haben sich längs der Wertschöpfungskette des Automobilbaus, der Luft- und Raumfahrt und der Energiewirtschaft positioniert. Die Bergleute haben diesen fächerübergreifenden Ansatz übrigens schon immer beherzigt. „Bergbau ist nicht eines Mannes Sache“, heißt es. Insofern ist die TU Clausthal geradezu prädestiniert, die transdisziplinäre, angewandte Forschung auf NTH-Ebene voranzutreiben.
Apropos vorantreiben, was plant die NTH im kommenden Jahr?
Hanschke: Mitte 2012 wollen wir ein Technisches Symposium ausrichten, um unseren Wissenschaftlern ein Forum zu bieten. Zuvor gibt es am 13. April in der Aula eine Jahresversammlung. Niedersachsens Wissenschaftsministerin Johanna Wanka hat bereits zugesagt. Dort wollen wir Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker zusammenbringen, um über den Fortschritt der NTH zu berichten. So ist eine neue Vergaberunde für Forschungsprojekte in der NTH angelaufen, es gibt den ersten gemeinsamen Masterstudiengang, das neue NTH-Sinfonieorchester hat Konzerte gegeben, die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert ein NTH-Programm für Softwaresysteme mit fünf Millionen Euro und in ähnlicher Höhe wird eine Betriebsstätte der NTH-Unis in Stade unterstützt - um einige Initiativen zu nennen.
Eine weitere ist die Teilnahme an der Exzellenzinitiative mit einer Graduiertenschule in den Ingenieurwissenschaften. Mitte 2012 fällt die Entscheidung. Was passiert, wenn das NTH-Projekt in diesem prestigeträchtigen Wettbewerb nicht berücksichtigt wird?
Hanschke: Natürlich würden wir im Rahmen der Exzellenzinitiative gerne erfolgreich sein, aber die Konkurrenz ist stark. Sollte es nicht klappen, machen wir trotzdem weiter. Parallel dazu laufen Programme mit ähnlich großem Fördervolumen. Dann ist es die Pflicht der NTH, sich daran zu beteiligen. Außerdem möchte die NTH ihre Zusammenarbeit mit Unternehmen in der Metropolregion ausbauen.
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